Waren Sie schon einmal vor Gericht? Dann wissen Sie bereits aus eigener Erfahrung, dass die Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich dort großgeschrieben wird. Dies nicht nur deshalb, weil es in der ZPO so vorgesehen ist, sondern weil sich durch einen Vergleich eine zeit- und ressourcenschonende Möglichkeit darstellt, ein Gerichtsverfahren zu beenden. Die Justiz „honoriert“ die Vergleichsbereitschaft dadurch, dass sich die Gerichtskosten um 2/3 reduzieren: statt der drei Gerichtsgebühren, die in 1. Instanz bei dem Urteil anfallen, fällt nur eine Gebühr an, sodass zwei Gebühren zurückgezahlt werden. auch Rechtsanwälte lieben vergleiche, weil es nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes für weniger Arbeit mehr Geld gibt: der Gesetzgeber honoriert die Mitwirkung an einem Vergleich mit einer zusätzlichen Einigungsgebühr. Rechtsfriede und Entlastung der Gerichte sind der Grund für diese gesetzlich verordnete Privilegierung des Vergleichsschlusses. die Parteien befinden sich dabei oft in einem Dilemma: das Gericht will den Vergleich, die Anwälte sind auch nicht abgeneigt, weil es mehr Geld für weniger Arbeit gibt und das, was besprochen und zu Protokoll diktiert wird, ist gerade bei komplizierteren Vergleichen oft so diffus, dass es für den juristischen Laien so ohne weiteres gar nicht verständlich ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Vergleich bedeutet gegenseitiges nachgeben. Deswegen sagten auch manche Richter, dass nur dann ein guter Vergleich vorliegt, wenn es wehtut und beide Parteien damit unzufrieden sind … Gleichwohl ist die Rolle des Rechtsanwalts in Vergleichsverhandlungen von entscheidender Bedeutung. Als Vertrauensperson und Berater ihrer Mandantschaft tragen Anwältinnen und Anwälte eine große Verantwortung, um sicherzustellen, dass die eigene Partei den Vergleich auch tatsächlich möchte und vor allen Dingen sich nicht auf eine Regelung einlässt, die sie in ihrer Gesamtheit nicht verstanden oder deren Tragweite sie nicht erkannt hatund sich am Ende gar nur verglichen hat, weil der vom Gericht aufgebaute Druck zu groß wurde. Wer hier als Anwalt mehr auf die eigenen monetären Interessen als auf die Interessen der eigenen Partei beim Vergleichsschluss abgestellt, läuft Gefahr sich demnächst selbst als Beklagter in einem Regressprozess wiederzufinden, denn das Damoklesschwert der Anwaltshaftung schwebt über jeden Vergleich. Wir erklären Ihnen nachfolgendanhand eines Urteils des BGH vom 04.07.2023 (IX ZR 209/21), worauf es ankommt und worauf Sie achten müssen.
Die rechtliche Grundlage der anwaltlichen Beratungspflicht
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind aufgrund ihrer berufsrechtlichen Pflichten (§ 43a Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO) dazu verpflichtet, die Interessen ihrer Mandantschaft nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen. Dies schließt eine umfassende und erschöpfende Beratung, insbesondere in Bezug auf Vergleichsangebote, ein. Die Mandantschaft soll in die Lage versetzt werden, eigenverantwortlich und sachgerecht zu entscheiden, ob ein Vergleichsvorschlag angenommen wird oder nicht.
Der Fall vor dem BGH: IX ZR 209/21
Im verhandelten Fall des BGH (Urteil vom 4.07. 2023) ging es um einen Kläger, der nach unzureichenden Drainage- und Abdichtungsarbeiten an seinem Haus erhebliche Feuchtschäden erlitt. Ein von ihm beauftragter Rechtsanwalt leitete zwar ein selbstständiges Beweisverfahren ein, doch wurde ein Vergleich über 55.000 Euro geschlossen, bevor das Verfahren abgeschlossen war. Später stellte sich heraus, dass die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten weitaus höher lagen. Diese Mehrkosten wollte der Kläger nun von seinem Rechtsanwalt ersetzt haben.
Die Entscheidung des BGH und ihre Bedeutung
Der BGH stellte klar, dass der Anwalt eine Beratungspflicht hat. Er muss seinen Mandanten grundsätzlich über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs aufklären, damit eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung getroffen werden kann. Macht er dies nicht, kann ein Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB entstehen. Wichtig sind insbesondere die Aufklärung über:
1. Die generelle Zweckmäßigkeit eines Vergleichsabschlusses.
2. Die rechtlichen Wirkungen eines Vergleichs, insbesondere bei Abgeltungsklauseln.
3. Die Voraussetzungen, unter denen von einer Beratung abgesehen werden kann.
Konsequenzen für die anwaltliche Praxis
Diese Entscheidung des BGH unterstreicht die hohen Anforderungen, die an die Beratungspflicht von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten gestellt werden. Es reicht nicht aus, nur auf die theoretische Möglichkeit der Mandanten hinzuweisen, die Risiken eines Vergleichs zu erkennen. Vielmehr muss aktiv und umfassend beraten werden, es sei denn, der Mandant verfügt bereits über die notwendigen Informationen und Kenntnisse. Die Beweislast im Streitfall liegt beim Rechtsanwalt. Gerade dann, wenn die Situation heikel ist, oder aber Zweifel bestehen, ob der Mandant den Vergleich auch tatsächlich haben möchte, ist dringend anzuraten, sich nicht vom Gericht zu einem Vergleichsschluss drängen zu lassen. Ein widerruflicher Vergleich gibt hier dem Mandanten die Möglichkeit noch die ein oder andere Nacht über den Vergleich zu schlafen.auch der Anwalt schläft dann besser, weil es bei ausreichender Überlegungszeitschwieriger ist, damit zu argumentieren, dass man in den Vergleichsschluss vom Gericht gedrängt worden sei und der eigene Rechtsvertreter nichts dagegen unternommen habe.