An dieser Stelle haben wir in jüngster Zeit öfters über Urteile berichtet, in denen Abgemahnte bei Filesharing-Fällen gewonnen haben, weil die Angreifer nicht den Nachweis erbringen konnten, dass der Anschlussinhaber auch tatsächlich die Rechtsverletzung begangen hat.
Kommt es dennoch zu einer Verurteilung, dann ist ein weiterer Anknüpfungspunkt zur Gegenwehr die Höhe des verlangten Schadenersatzes, weil dieser oftmals viel zu hoch angesetzt wird. So hat das OLG Frankfurt in seinem Urteil vom 16.12.2014 (11 U 27/14) entschieden, dass für ein Musikstück, das mehrere Monate zugänglich war, ein Betrag von 200 € angemessen ist. Die Anspruchsteller hatten dagegen 1.500 € als Schaden im Wege der Lizenzanalogie berechnet.
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:
„Die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie lediglich die zuletzt erstinstanzlich geltend gemachte Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 1.500 weiterverfolgt, hat nur zum geringen Teil Erfolg. Der Klägerin steht dem Grunde nach wegen Verletzung ihres Tonträgerherstellerrechts durch öffentliche Zugänglichmachung des Musikstücks „A“ der Künstlergruppe „B“ gemäß §§ 85, 97 Abs. 2 UrhG ein Schadenersatzanspruch zu, den der Senat auf EUR 200 schätzt (§ 287 ZPO).
a) Die Klägerin hat als Grundlage für die Schadensberechnung die Methode der Lizenzanalogie gewählt. Hierbei wird zur Berechnung des Schadens der Abschluss eines Lizenzvertrages zu angemessenen Bedingungen fingiert (BGH GRUR 1990, 1009). Im Rahmen der Lizenzanalogie gelten als angemessen Lizenzgebühren, die verständige Vertragspartner vereinbart hätten (vgl. BGH, GRUR 1993, 55, 58). Bestehen Tarifvergütungen, so sind diese zu Grunde zu legen (vgl. näher Schricker/Wild, Urheberrecht, 4. Auflage, § 97 Rn. 156 m.w.N.). Bei der Bemessung eines angemessenen Schadensbetrages auf der Grundlage des § 287 ZPO ist insofern jeder Einzelfall im Hinblick auf seine Besonderheiten gegenüber den Durchschnittswerten der Tarife und marktüblichen Vergütung selbst zu untersuchen (Dreier/Schulze, UrhG, 4. Auflage, § 97 Rn. 64). Zu berücksichtigen sind dabei Dauer, Art, Ort und Umfang der Verletzungshandlung, wie auch der Wert des verletzten Ausschließlichkeitsrechts.
b) Der Schaden der Klägerin ist vorliegend nicht auf der Grundlage der von der Klägerin vorgetragenen Vergleichstarife zu bestimmen.
aa) Eine Verpflichtung zur Anwendung der von der Klägerin vorgetragenen Vergleichstarife ergibt sich zunächst nicht daraus, dass diese mangels Bestreitens des Beklagten als zugestanden zu werten wären. Soweit der Beklagte sich nicht dagegen wendet, dass diese Tarife in der Film-/Fernseh- oder Werbebranche als Pauschallinzenzen üblich seien, bedeutet dies nicht, dass eine Anwendung auf den vorliegenden Fall unbestritten wäre. Der Beklagte vertritt vielmehr die Auffassung, dass diese Tarife unpassend seien, da sie lediglich auf eine kommerzielle Nutzung abstellten. Zudem hat das Gericht im Rahmen des § 287 ZPO selbst wertend zu bestimmen, welche Vergleichstarife aufgrund ihrer größtmöglichen Ähnlichkeit zu der zu entscheidenden Fallkonstellation als Grundlage der Schätzung herangezogen werden können; es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage.
bb) Eine Verpflichtung zur Anwendung der klägerseits geltend gemachten Tarife ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin – zu Recht – geltend macht, dass die Tatsache, dass beim Filesharing kein wirtschaftlicher Erfolg erzielt wird, nicht zu einer unangemessenen Besserstellung des Verletzers gegenüber einem redlichen Lizenznehmer führen darf. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass bei einer Internettauschbörse die Anzahl der Downloads allenfalls nach Erfahrungswerten grob geschätzt werden kann, was für die Heranziehung eines nicht vorrangig auf den konkreten Umfang der Nutzung abstellenden Tarifs spricht. Soweit die Klägerin aber eine Orientierung an den Pauschalvergütungen im Bereich der Synchronisationsvergaben für Film und Fernsehen bzw. im Bereich der Werbemusik anstrebt, die sie auf Beträge im vier- bis sechsstelligen Eurobereich taxiert, ist der streitgegenständliche Sachverhalt damit nicht vergleichbar. Diese Tarife betreffen den kommerziellen Einsatz von Musik im Rahmen eines in erheblichem Maße öffentlichkeitswirksamen Kontextes (Kino, Werbung) mit erheblichen Gewinnaussichten, während vorliegend der Umfang der Nutzung der durch den Beklagten veranlassten Möglichkeit zum Download ungewiss ist. Es erscheint nicht angemessen, den Beklagten als Nutzer eines Filesharing-Netzwerks mit solchen kommerziellen Anbietern auf eine Stufe zu stellen, die ein geschütztes Werk im Rahmen eines Kino- oder Werbeauftritts einsetzen.
c) In der Rechtsprechung finden sich unterschiedliche Ansätze zur Berechnung eines Schadensersatzanspruchs in den Fällen des Einstellens urheberrechtlich geschützter Musiktitel in Peer-to-Peer-Netzwerke zum kostenlosen Download.
aa) Teilweise (so OLG Köln, Urteil vom 14.3.2014, I-6 U 109/13; OLG Köln, Urteil vom 23. März 2012 – 6 U 67/11; OLG Köln, Beschluss vom 8.5.2013 – 6 W 256/12; LG Düsseldorf, Urteil vom 24. November 2010 – 12 O 521/09 – juris) werden als Anhaltspunkt für die Bestimmung einer angemessenen Vergütung verschiedene Tarife der Verwertungsgesellschaften (GEMA) herangezogen.
Dabei wird einerseits auf den GEMA-Tarif VR-W I zurückgegriffen und im Hinblick darauf, dass Streams im Gegensatz zu den im Rahmen von Filesharing-Netzwerken ermöglichten Downloads nicht auf eine dauerhafte Speicherung ausgerichtet sind, ein Aufschlag von 50 % gemacht (LG Düsseldorf, Urteil vom 24. November 2010 – 12 O 521/09 – juris).
Andererseits wird eine Orientierung an dem Tarif VR-OD 5 vorgenommen, der die Nutzung einzelner Titel auch durch Download aus dem Internet zum Gegenstand hat und für ein Werk mit einer Spieldauer von bis zu fünf Minuten eine Mindestvergütung von EUR 0,1278 pro Zugriff vorsieht (vgl. OLG Köln, Urteil vom 14.3.2014, I-6 U 109/13; OLG Köln, Urteil vom 23. März 2012 – I-6 U 67/11, 6 U 67/11; OLG Köln, Beschluss vom 8.5.2013 – 6 W 256/12 – juris). Ausgehend von diesem Tarif der GEMA und der Rahmenvereinbarung der Tonträger-Branche soll für jeden Fall des Zugriffs auf die angebotenen Dateien ein Betrag von EUR 0,50 veranschlagt werden. Eine Schadensschätzung auf das 400-fache dieses Betrages (ausgehend von mindestens 400 illegalen Zugriffen) sei im Rahmen des § 287 ZPO angemessen (OLG Köln, Beschluss vom 8.5.2013 – 6 W 256/12 – juris), was pro Musikstück einen fiktiven Lizenzbetrag von EUR 200 ergibt.
bb) Nach Ansicht des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (Urteil vom 07. November 2013 – 5 U 222/10 – juris) kann zwar für die Bemessung des zu erstattenden Schadens auf bestehende Tarifwerke nicht zurückgegriffen werden. Eine Berechnung des Schadens auf der Grundlage von GEMA-Tarifen verbiete sich schon aus der Natur der Sache, weil die GEMA ausschließlich die Urheberrechte der Komponisten und Textdichter vertrete, während die Nutzung von Musikdateien im Internet wesentlich weitergehende Rechte Dritter betreffe, insbesondere die Leistungsschutzrechte des Tonträgerherstellers und der ausübenden Künstler. Das Tarifgefüge der GEMA sei auch ersichtlich weder geeignet noch dazu bestimmt, Rechtsverletzungen Privater im Wege des nichtkommerziellen Filesharing im Internet zu erfassen, da insbesondere nicht zu ermitteln sei, wie hoch die Zugriffe auf die einzelnen Musikdateien jeweils gewesen sind. Die Höhe des in der Regel nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zu leistenden Schadensersatzbetrages könne deshalb lediglich im Rahmen von § 287 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände geschätzt werden, wobei es der Ermittlung eines angemessenen Pauschalbetrages als Schadensersatzbetrag bedürfe, der in gewissen Grenzen unabhängig von dem konkret in Frage stehenden Titel und dessen aktueller Popularität sei. Im Ergebnis folgt das Oberlandesgericht Hamburg für die Schätzung eines Mindestschadens jedoch dem Ansatz des Oberlandesgerichts Köln und gelangt ebenfalls zu einer Schadensschätzung auf EUR 200 für ein Musikstück.
c) Eine Schadensschätzung auf EUR 200 pro Musikstück erachtet der Senat, wie er dies für einen vergleichbaren Fall mit Urteil vom 15.7.2014 (AZ. 11 U 115/13) ausgesprochen hat, auch vorliegend für angemessen.
Soweit das Oberlandesgericht Hamburg (Urteil vom 07. November 2013 – 5 U 222/10 – juris) sich mit beachtlichen Bedenken gegen eine Heranziehung der GEMA-Tarife als Vergleichsmaßstab wendet, kommt es im Ergebnis dennoch zur Annahme dieses Betrages als angemessene fiktive Lizenzgebühr. Angesichts des Umstands, dass unmittelbar anwendbare Tarife in Filesharing-Fällen nicht existieren, eine gerichtliche Schätzung aber nicht vorgenommen werden darf, wenn diese mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (BGH, Urteil vom 22. Mai 1984 – III ZR 18/83 Rn. 55 –), erscheint auch eine Orientierung an den sachlich zumindest ähnlich gelagerten GEMA-Tarifen und den verkehrsüblichen Entgeltsätzen für legale Downloadangebote im Internet jedenfalls zur Bestimmung einer Größenordnung des Schadens naheliegend und geboten.
Anhaltspunkte, die im Streitfall zu einem betragsmäßig abweichenden Ansatz führen müssten, sind nicht dargetan und nicht ersichtlich:
Der Beklagte hat einen zu dieser Zeit in den aktuellen Charts befindlichen Hit (bei Einstellung in die Tauschbörse Platz … der deutschen Singlecharts, vier Wochen zuvor Höchstplatzierung auf Platz … der deutschen Singlecharts) im Rahmen des Filesharing-Angebots für eine unübersehbare Anzahl von Nutzern zugänglich gemacht, wobei zwischen dem Einstellen der Aufnahme am 24.7.2011 und der Abmahnung am 8.12.2011 mehr als vier Monate lagen. Der eingestellte „Hitcontainer“ umfasste zwar insgesamt 43 Titel, es war jedoch nur ein Titel der Klägerin betroffen. Es handelt sich insofern um einen als durchschnittlich zu beurteilenden Einzelfall ohne für die Bemessung des Lizenzschadens erhebliche Besonderheiten.
d) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht der von ihr angebotene Beweis, insbesondere zu der Höhe üblicher Lizenztarife, zur üblichen Nutzungsdauer in Verträgen bei der Musikverwertung sowie zu der Tatsache, dass bei unbekannter Anzahl von Nutzung sowie bei unentgeltlicher Nutzung üblicherweise Pauschallizenzen vereinbart werden, insbesondere durch Sachverständigengutachten zu erheben. Da für die konkrete Nutzung, nämlich die kostenlose öffentliche Zugänglichmachung über ein Peer-to-Peer-Netzwerk üblicherweise keine Lizenzen vergeben werden, sind die Anknüpfungstatsachen für eine vom Sachverständigen vorzunehmende Vergleichsbetrachtung nicht ersichtlich. Der Senat hat, wie ausgeführt, den Schadenersatz im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO anhand von Tarifen, die ähnliche Fallgestaltungen regeln, zu bemessen.“