Stellen Sie sich vor, sie hätten ein Millionenvermögen geerbt, allerdings zu einer Zeit, als sie bereits gezeugt, aber noch nicht geboren worden. Dummerweise haben ihre Eltern aber die Erbschaft ausgeschlagen. Wenn Sie glauben, dass es so etwas nicht gibt, dann lesen Sie weiter, denn mit genau so einem Fall hat sich kürzlich der BGH in seinem Beschluss vom 04.09.2024 (IV ZB 37/23) befasst und entschieden, dass für eine solche Ausschlagung keine Zustimmung des Familiengerichts erforderlich ist …
Die rechtlichen Grundlagen der Erbausschlagung
Nach deutschem Erbrecht haben Erben das Recht, eine Erbschaft auszuschlagen (§ 1942 BGB). Die Erbausschlagung ist ein häufiges Mittel, um unerwünschte oder steuerlich belastende Nachlässe abzuwenden. Wird die Erbschaft ausgeschlagen, so fällt der Erbteil an den nächsten gesetzlichen Erben. Minderjährige Kinder sind in Erbangelegenheiten jedoch auf die Vertretung durch ihre Eltern oder Vormünder angewiesen. Die Eltern können die Erbschaft für ihr Kind ausschlagen, müssen hierbei jedoch bestimmte rechtliche Voraussetzungen beachten.
Gemäß § 1643 Abs. 1 BGB bedürfen die Eltern als gesetzliche Vertreter ihres Kindes grundsätzlich der Genehmigung des Familiengerichts, wenn sie im Namen des Kindes ein Rechtsgeschäft abschließen wollen, das den Nachlass betrifft. Allerdings sieht § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB eine wichtige Ausnahme vor: Die Ausschlagung einer Erbschaft für das minderjährige Kind durch die Eltern bedarf keiner familiengerichtlichen Genehmigung, wenn sie zugleich auch die Erbschaft für sich selbst ausgeschlagen haben.
Die Entscheidung des BGH vom 04.09.2024 – „Lenkende“ Erbausschlagung
In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine Millionärin, die ihren Ehemann als Alleinerben und ihre beiden Kinder als Ersatzerben eingesetzt hatte. Nach dem Tod der Erblasserin schlugen sowohl der Ehemann als auch die beiden Kinder das Erbe aus, um die steuerliche Belastung durch die Erbschaft zu minimieren. Diese Ausschlagung sollte dazu führen, dass die gesetzliche Erbfolge eintritt und der Nachlass besser verteilt werden konnte. Auch das ungeborene Kind eines der Erben sollte durch die Ausschlagung der Eltern von der gesetzlichen Erbfolge profitieren.
Das Nachlassgericht ging jedoch davon aus, dass für das minderjährige Kind – in diesem Fall ein mittlerweile geborenes Baby – eine Genehmigung des Familiengerichts notwendig sei, da die Ausschlagung dem Kind erheblichen wirtschaftlichen Gewinn bringen würde. Das Familiengericht verweigerte jedoch die Genehmigung, da es das Erbe als vorteilhaft für das Kind ansah.
Der BGH stellte jedoch klar, dass für den Fall der sogenannten „lenkenden“ Erbausschlagung keine Genehmigung durch das Familiengericht erforderlich sei. Dies gilt auch dann, wenn die Ausschlagung letztlich zu einem wirtschaftlichen Vorteil der Eltern führt, die durch die gesetzliche Erbfolge selbst wieder zu Erben werden. Der BGH wies darauf hin, dass der Gesetzgeber keinen Interessenkonflikt in solchen Fällen gesehen habe, da die Eltern zuvor auch ihr eigenes Erbe ausgeschlagen hatten und somit der Handlungsspielraum der Eltern nicht durch die Interessen des Kindes beeinträchtigt wird. Eine teleologische Reduktion des § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB lehnte der BGH ab.
Familiengerichtliche Genehmigung – Wann ist sie notwendig?
Die Entscheidung des BGH verdeutlicht, dass die Regelung in § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB klar und abschließend ist. Eltern können das Erbe für ihr minderjähriges Kind ausschlagen, ohne eine Genehmigung des Familiengerichts einzuholen, wenn sie dies auch für sich selbst tun. Ein Eingreifen des Familiengerichts ist jedoch notwendig, wenn die Eltern das Erbe für das Kind ausschlagen, obwohl sie selbst die Erbschaft nicht ausschlagen. In diesem Fall könnte ein potenzieller Interessenkonflikt bestehen, der die Genehmigungspflicht rechtfertigen würde.
Der Schutz des Kindes steht im Mittelpunkt des familienrechtlichen Genehmigungsvorbehalts. Durch die familiengerichtliche Überprüfung soll gewährleistet werden, dass die Interessen des Kindes nicht durch die Entscheidungen der Eltern beeinträchtigt werden. Das Gesetz unterscheidet jedoch klar zwischen Fällen, in denen ein solcher Interessenkonflikt besteht, und jenen, in denen die Eltern durch eigene Ausschlagung ebenfalls auf das Erbe verzichten.
Steuerliche Überlegungen und Erbausschlagung
Die steuerlichen Aspekte spielen bei der Erbausschlagung eine wichtige Rolle. Im vorliegenden Fall war die Ausschlagung des Erbes Teil einer gezielten Strategie, um die Erbschaftssteuerlast zu minimieren. Indem das Erbe ausgeschlagen wurde, konnte die gesetzliche Erbfolge greifen, wodurch die Steuerlast auf mehrere Erben verteilt wurde. Der BGH betonte in seiner Entscheidung jedoch, dass rein steuerliche Überlegungen keine zusätzliche familiengerichtliche Kontrolle rechtfertigen. Eltern sind grundsätzlich befugt, auch im Interesse der Steuerersparnis das Erbe für ihr Kind auszuschlagen, solange die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden.
Fazit
Die Erbausschlagung für minderjährige Kinder ist ein sensibles Thema, das sowohl rechtliche als auch steuerliche Fragen aufwirft. Die Entscheidung des BGH vom 04.09.2024 (Az.: IV ZB 37/23) schafft Klarheit darüber, dass Eltern das Erbe für ihre minderjährigen Kinder ohne familiengerichtliche Genehmigung ausschlagen können, wenn sie zugleich auch ihr eigenes Erbe ausschlagen. Diese Entscheidung stärkt die Handlungsspielräume der Eltern, auch wenn diese durch die Ausschlagung wirtschaftlich profitieren.
Die gesetzliche Regelung in § 1643 Abs. 3 Satz 1 BGB ist eindeutig und schließt eine zusätzliche Genehmigungspflicht aus. Diese Rechtsprechung hat weitreichende Folgen für Erbfälle, in denen minderjährige Kinder involviert sind, und verdeutlicht den Stellenwert des Elternrechts in Erbschaftsangelegenheiten. Für Betroffene ist es wichtig, sowohl die erbrechtlichen als auch die steuerlichen Aspekte sorgfältig abzuwägen und sich gegebenenfalls rechtlich beraten zu lassen.
Haben auch Sie geerbt und überlegen das Erbe auszuschlagen, dann beraten wir Sie gerne, bundesweit. Aber warten Sie nicht zu lange, da grundsätzlich das Erbe nur innerhalb von 6 Wochen nach Anfall der Erbschaft ausgeschlagen werden kann.
Ansprechpartner zum Erbrecht:
Rechtsanwalt Graf ist auch Testamentsvollstrecker sowie Kooperationsmitglied im DVEV (Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V.). und DIGEV (Deutsche Interessengemeinschaft für Erbrecht und Vorsorge e. V.)
Rechtsanwalt Detzer wird regelmäßig von den Amtsgerichten Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen als Nachlasspfleger bestellt.