Erhält der Mieter eine (Eigenbedarfs-)Kündigung, dann kann er dieser widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 Abs. 1 BGB verlangen, wenn bestimmte Härtegründe vorliegen. Dass diese Regelung nicht nur Makulatur ist, sondern die mit dem Räumungsrechtsstreit befassten Gerichte die vorgetragenen Gründe im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen und zu berücksichtigen haben, hat der BGH in seinem Urteil vom 15.03.2017 (VIII ZR 270/15) bekräftigt.
Mieter wendet sich gegen Eigenbedarfskündigung mit gesundheitlichen Problemen, insbesondere einer beginnenden Demenz
Im entschiedenen Rechtsstreit hatte der Vermieter eine Erdgeschoßwohnung in einem Mehrfamilienhaus gekündigt, die von dem Beklagtenehepaar seit 1997 bewohnt wurde. Begründet wurde die Kündigung mit Eigenbedarf für die 4-köpfige Familie seines Sohnes. Dieser hatte bisher die darüber liegende Wohnung bewohnt. Der Vermieter gab an die beiden Wohnungen zusammenlegen zu wollen, um die bislang beengten Wohnraumverhältnisse für die Familie seines Sohnes zu beseitigen und mehr Wohnraum zu schaffen.
Die Beklagten widersprachen der Kündigung und machten nicht nur geltend, der Sohn könnte alternativ auch die leerstehende Dachgeschosswohnung nutzen. Jedenfalls könnten sie die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 BGB aufgrund einer persönlichen Härte verlangen. Der Beklagte zu 1), der 1930 geboren ist, leide nämlich an zahlreichen gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere an einer beginnenden Demenz, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Bei einem Verlust der bisherigen Wohnung sei für ihn ein Umzug in ein Seniorenwohnheim unumgänglich. Die noch rüstige Beklagte zu 2) lehnte es jedoch ab, entweder auch selbst in ein solches Wohnheim zu ziehen oder sich aber von ihrem Mann zu trennen. Der Vermieter selbst war während des Rechtsstreits gestorben, so dass dieser von dessen Erben weitergeführt worden ist.
Vorinstanzen halten Kündigung trotz Härtegrund für wirksam
Die Vorinstanzen haben zwar das Vorbringen der Beklagten zu den Härtegründen als wahr unterstellt, hielten aber gleichwohl die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung für wirksam. Nach Auffassung der Richter verdienten diese nämlich keinen Vorrang gegenüber den Vermieterinteressen, dass der Sohn des Vermieters nicht länger und auf unabsehbare Zeit im eigenen Anwesen in beengten, einer Familie mit 2 Kindern nicht angemessenen Wohnung leben müsse. Er müsse sich auch nicht auf die Dachgeschosswohnung verweisen lassen.
Härtegründe bei der Interessenabwägung nicht hinreichend berücksichtigt
Der BGH rügt, dass die Vorinstanzen zwar die vorgetragenen Härtegründe als wahr unterstellt, es aber im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung gleichwohl unterlassen haben sich ein in die Tiefe eingehendes eigenständiges Bild von den betroffenen Interessen der Mieter zu verschaffen.
Das Berufungsgericht hat sich hier nämlich lediglich darauf beschränkt den Beklagtenvortrag zu den Härtegründen formal als wahr zu unterstellen, ist dann aber anschließend zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Härten keinesfalls Vorrang gegenüber den Vermieterinteressen verdienen. Nach Auffassung des BGH hat es das Berufungsgericht daher unterlassen sich inhaltlich mit dem Beklagtenvortrag zum Ausdruck gekommenen existenziellen Bedeutung der Beibehaltung der Wohnung in der gebotenen Weise auseinanderzusetzen.
Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte aber verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen.
Macht ein Mieter – wie hier – derart schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssen sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Erst dies versetzt die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.
Nachdem die insoweit notwendigen Feststellungen bislang unterblieben sind, hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Versetzt man sich in die Lage der beklagten Senioren, dann ist immer wieder erschreckend, mit welcher Gleichgültigkeit und Rechtsunkenntnis einzelne Richter sich auch mit Angelegenheiten auseinandersetzen, die für die Betroffenen von existenzieller Bedeutung sind. Reduziert man nämlich die Meinung der Vorinstanzen auf den Kern, dann würde die Regelung des § 574 BGB leerlaufen, weil dann faktisch den Vermieterinteressen stets der Vorrang einzuräumen wäre. Von der immensen psychischen Belastung, die ein solcher über viele Jahre andauernde Rechtsstreit für die Betroffenen mit sich bringt, ganz zu schweigen.