Sind Sie Partei eines Gerichtsverfahrens und ärgern Sie sich auch darüber, dass das Gericht Ihren Vortrag bzw. den Ihrer Prozessvertreter nicht oder nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und deshalb gegen Sie entschieden hat? Dann ist es gut möglich, dass Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 103 Abs. 1 GG sogar in der Verfassung verankert ist, verletzt wurde.
Dieser Fehler kommt bei Gericht häufiger vor, als sich der juristische Laie, der noch nie mit einem Gericht zu tun hatte, vielleicht vorstellen kann. Gleichwohl hüllt Justitia oft den Deckmantel des Schweigens darüber, dies jedenfalls dann, wenn sich die betroffene Partei nicht mit Nachdruck dagegen zur Wehr setzt. Dass es manchmal erfolgreich sein kann, zeigt ein Beschluss des BGH vom 18.05.2021 (IV ZR 1106/20) in dem der Volkswagen AG, die in einem Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Dieselskandal die Aktivlegitimation des Klägers von den Instanzgerichten gänzlich unbeachtet bestritten hatte, im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde erreichen konnte, dass das Verfahren zurückverwiesen und neu verhandelt werden muss. Die Richter am BGH waren dabei zum Ergebnis gelangt, dass das Berufungsgericht, hier das OLG Bamberg, den Vortrag in der Berufungsbegründung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hatte.
Erwerb des Fahrzeugs vom Vater zweifelhaft
In dem Rechtsstreit hatte der Kläger behauptet er habe den mit einer Schummelsoftware ausgestatteten Wagen mit Dieselmotor gebraucht von seinem Vater für 31.500 € erworben. Das Landgericht hatte Volkswagen zur Zahlung von 24.600 € gegen Rückgabe des Fahrzeugs verurteilt. Die Berufung vor dem OLG, in dem VW u.a. die Aktivlegitimation nach dem Fahrzeugverkauf sowie eine Verkennung der Darlegungs- und Beweislast moniert hatte, blieb erfolglos. Zur Begründung führten die Richter aus, die bloße Behauptung, dass die Aktivlegitimation des Klägers fehle, begründe keine Zweifel an den vom Landgericht getroffenen Feststellungen.
Im Rahmen einer sog. Tatbestandsberichtigung haben die Richter dann diesen auf Antrag von Volkswagen dahingehend berichtigt, dass anstelle von „Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag“ die Formulierung im Tatbestand berichtigt wurde „Der Kläger behauptet, dass er von seinem Vater mit Kaufvertrag vom 12.03.2015 den Pkw [.] erworben habe“. Der Unterschied besteht darin, dass nach der 1. Formulierung der Vertragsschluss unstreitig gewesen sei, was aber nach dem Vortrag von VW gerade nicht der Fall gewesen ist.
Berufungsgericht hat Vortrag in der Berufungsbegründung gänzlich unbeachtet gelassen
Die Nichtzulassungsbeschwerde von Volkswagen war deshalb erfolgreich, weil der BGH VW in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sah und deshalb den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das OLG zurückverwiesen hat.
Konkret bemängelten die obersten Bundesrichter, dass das OLG die zur Frage des Fahrzeugerwerbs erhobenen Rügen in der Berufungsbegründung nicht berücksichtigt haben. Dort hatte VW ausgeführt, dass der vorgelegte – auf einem Formular aus dem Jahr 2017 erstellte – Kaufvertrag nicht geeignet sei, den behaupteten Vertragsschluss im Jahr 2013 zu belegen. Außerdem habe VW gerügt, dass das LG die Darlegungs- und Beweislast für das Zustandekommen des Kaufvertrags und die Kaufpreiszahlung verkannt habe, indem es eine Verpflichtung des Unternehmens zur Darlegung eines Scheingeschäfts festgehalten habe.
Was bedeutet der Anspruch auf rechtliches Gehör?
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist nach dem BGH in der vorgenannten Entscheidung dann auszugehen, wenn ein Gericht den in der Berufungsbegründung enthaltenen Vortrag überhaupt nicht berücksichtigt.
Welche Möglichkeiten haben Sie sich gegen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs zur Wehr zu setzen?
Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten sich gegen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zur Wehr zu setzen. Es kommt dabei stets auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf in welchem Verfahrensstadium Sie sich gerade befinden.
Berufung
Eine Gehörsverletzung in der 1. Instanz wird regelmäßig im Rahmen einer Berufung geltend gemacht. Im Zivilprozess beträgt die Frist hierfür einen Monat ab Zustellung des Urteils für die Einlegung der Berufung; innerhalb eines weiteren Monats muss dann die Berufung begründet werden.
Wichtig ist, dass Sie sich mit fachkundiger Hilfe zeitnah nach Zustellung des Urteils auch den Tatbestand und nicht nur die Urteilsgründe genau ansehen. Ist der Tatbestand nämlich fehlerhaft, dann muss so, wie im vorgenannten Beispiel in dem Prozess der Volkswagen AG zunächst ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung gestellt werden, weil der Tatbestand maßgeblich für das ist, was das Berufungsgericht überprüft.
Achtung: Hier ist schnelles Handeln gefragt, weil die Frist für einen solchen Berichtigungsantrag lediglich 2 Wochen beträgt.
Anhörungsrüge
Ist das Urteil nicht berufungsfähig, weil der Streitwert unter der Berufungsgrenze von 1.200 € liegt, sodass die Berufung nicht statthaft ist, dann kommt eine Gehörsrüge in Betracht. Hier müssen Sie also das erkennende Gericht im Rahmen einer Rüge auf den Fehler hinweisen und verlangen, dass unter Beachtung des übergangen Vortrags das Verfahren wieder eröffnet wird.
Nichtzulassungsbeschwerde und Revision
Wurde die Revision zugelassen dann kann ein Anhörungsfehler im Rahmen des Revisionsverfahrens beim BGH geltend gemacht werden. Auch im Regelfall, wenn die Revision nicht zugelassen wird, kann ein Anhörungsfehler, wie im oben beschriebenen Beispiel, mit einer sog. Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH gerügt werden.
Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht oder Landesverfassungsgericht
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG kann auch mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden. Aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist dafür aber erforderlich, dass der Rechtsweg erschöpft ist. Dies bedeutet, dass bei nicht berufungsfähigen Urteilen zunächst die Anhörungsrüge und bei berufungsfähigen Urteilen zunächst die Berufung und Revision/Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos gewesen sein muss. Die Frist für die Verfassungsbeschwerde beträgt dann wiederum einen Monat ab Zustellung des letztinstanzlichen Urteils.
Anmerkung:
Das, was wir Ihnen oben dargestellt haben, ist die Theorie, leider aber nicht die Praxis. Die Mehrzahl der Anhörungsfehler wird gerichtlich nicht korrigiert und dies oft ohne, dass dafür überhaupt eine oder eine nachvollziehbare Begründung geliefert wird. Wir haben erst deshalb kürzlich eine Verfassungsbeschwerde eines Ehepaars begleitet, die bereits erstinstanzlich in einem Rechtsstreit, bei dem es um die Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrags wegen behaupteter Geschäftsunfähigkeit gegangen war und die ein Privatgutachten eines renommierten Sachverständigen vorgelegt haben, das aufgezeigt hat, dass das gerichtlich eingeholte sachverständige Gutachten wegen zahlreicher handwerklicher Mängel nicht verwertbar ist, völlig negiert hatten und zwar nicht nur das Landgericht, sondern auch das OLG haben sich nicht mit dem Gutachten auseinandergesetzt. Während das Landgericht dies noch (zu Unrecht) damit begründet hatte, es habe das Gutachten mangels hinreichendem Parteivortrag nicht beachten müssen, haben die Richter am OLG München damit argumentiert, dass wir sie die Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar seien, also ihre eigene Meinung zu einer diffizilen medizinischen Frage über die Expertise eines renommierten und hochqualifizierten Sachverständigen gesetzt. Und trotz etwa 100 Seiten Berufungsbegründung, die eine Münchner Großkanzlei geschrieben hatte, es nicht einmal für nötig gehalten, mündlich zu verhandeln, sondern die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.
Wer nun meint analog der vorgenannten Entscheidung der BGH hätte es gerichtet, der wird leider auch enttäuscht, denn von dort kam, wie meistens, wenn es ihm nicht Zulassungsbeschwerde geht, lediglich ein Textbaustein mit dem Hinweis, dass kein Rechtsfehler erkannt werden konnte, der eine Zulassung der Revision rechtfertigen würde … Zur Frage, ob Grundrechte verletzen, hat er sich explizit gar nicht geäußert.
Die arg geschunden Eheleute haben zwischenzeitlich den Glauben an den Rechtsstaat verloren. Aber nachdem die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, warten wir mal ab, was das Bundesverfassungsgericht dann letztendlich dazu sagen wird… Aber auch hier sind die Hürden hoch und die Mehrzahl aller Verfassungsbeschwerden scheitert bereits daran, dass das Bundesverfassungsgericht sie gar nicht zur Entscheidung annimmt.
Haben auch Sie Probleme mit rechtlichem Gehör? Wir beraten und unterstützen Sie bundesweit in jeder Phase des Verfahrens, insbesondere aber auch bei der Fertigung einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.