Gerade dann, wenn um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vor dem Arbeitsgericht gestritten wird, geht es bei manchen Arbeitgebern nicht nur um die Frage der Beendigung, sondern auch darum, dass der Arbeitgeber Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag, wie beispielsweise die Erteilung korrekter Lohnabrechnungen, Arbeitsbescheinigung oder die Erteilung einer elektronischen Lohnsteuerbescheinigung nicht erfüllt hat. Wird der Arbeitgeber dann hierzu verurteilt oder verständigen sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs darauf, dass die fehlenden Bescheinigungen noch zu erteilen sind, dann stehen Arbeitnehmer oft vor dem Problem, dass sie jetzt zwar ein Stück Papier in Form eines Urteils oder Vergleichs in Händen haben, der Arbeitgeber aber trotzdem seinen Verpflichtungen nicht nachkommt?!
Lohnabrechnungen, Arbeitsbescheinigungen oder elektronische Lohnsteuerbescheinigungen sind nach § 888 ZPO vollstreckbar
Wer nun allerdings als Arbeitgeber meint, weiterhin mit dem Arbeitnehmer Katz-und-Maus-Spiel zu können, für den kann es schnell unangenehm werden, denn derartige Ansprüche können, auch wenn sie lediglich in einem Vergleich vereinbart wurden, nach § 888 ZPO als nicht vertretbare Handlungen vollstreckt werden. Dies bedeutet auf entsprechenden Antrag kann das Gericht ein Zwangsgeld und für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann sogar Ordnungshaft anordnen (LAG Köln, Beschluss vom 08.04.2021 (9 Ta 24/21). Zur Begründung hat das Gericht, dass ein Zwangsgeld von 1.000 € und ersatzweise 2 Tage Zwangshaft gegen den Geschäftsführer angeordnet hat, ausgeführt:
„Der Vergleich ist hinreichend bestimmt, auch wenn er lediglich die Formulierung „Steuerbescheinigung“ und nicht „Lohnsteuerbescheinigung“ enthält. Bereits aus dem Umstand, dass es sich um einen Vergleich vor einem Arbeitsgericht handelt und die weiteren titulierten Verpflichtungen der Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses dienen, lässt sich entnehmen, dass die Lohnsteuerbescheinigung nach § 41b EStG und nicht etwa eine andere Steuerbescheinigung gemeint ist. Der Bestimmtheit des Titels steht auch nicht entgegen, dass es eine alternative Verpflichtung der Schuldnerin zum Gegenstand hat. Die Schuldnerin kann ihre Verpflichtung durch die Erteilung des Ausdrucks oder durch die elektronische Bereitstellung erfüllen. Entscheidend ist, dass dem Gläubiger die Lohnsteuerbescheinigung zur Verfügung steht. Anders als bei einer Wahlschuld iSd. § 262 BGB, bei der das Wahlrecht im Zweifel dem Schuldner zusteht und der Gläubiger als Folge einer unterlassenen Wahl durch den Schuldner gemäß § 264 Abs. 1 Hs. 1 BGB die Zwangsvollstreckung aus dem auf alternative Leistung lautenden Titel auf eine der Leistungen seiner Wahl richten muss (vgl. Toussaint in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 264 BGB, Stand: 01.02.2020, Rn. 6), ist im vorliegenden Fall ein bestimmter Handlungserfolg geschuldet. Der Schuldnerin ist nur freigestellt, wie sie diesen Erfolg, die Zurverfügungstellung der Lohnsteuerbescheinigung, erreicht, also entweder durch Aushändigung eines Ausdrucks oder durch elektronische Bereitstellung.
3.) Sowohl bei der Erteilung des Ausdrucks als auch bei der elektronischen Bereitstellung der Lohnsteuerbescheinigungen handelt es sich um eine unvertretbare Handlung iSd. § 888 ZPO (zur Erteilung: Küttner/ Poeche, Personalhandbuch, 26. Auflage 2019, Lohnsteuerbescheinigung, Rn. 6; LAG Hamm, Beschluss vom 08. August 2012 – 7 Ta 173/12 –, Rn. 22, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 03. August 2011 – 8 Ta 157/11 –, Rn. 6, juris).
a) Bei der Zwangsvollstreckung im Zusammenhang mit Arbeitspapieren ist zu differenzieren zwischen der Herausgabe des Arbeitspapieres und dem Ausfüllen des Arbeitspapiers: Die bloße Herausgabe von Arbeitspapieren ist nach § 883 Abs. 1 ZPO durch den Gerichtsvollzieher zu vollstrecken. Ist dagegen ein Titel auch auf bestimmte Angaben in dem Arbeitspapier gerichtet, die typischerweise durch das Ausfüllen des Arbeitspapiers erfolgen, handelt es sich um eine unvertretbare Handlung, die nach § 888 Abs. 1 ZPO zu vollstrecken ist (Hessisches LAG, Beschluss vom 19. Juni 2017 – 10 Ta 172/17 –, Rn. 12, juris; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.12.2017 – 4 Ta 12/17, Rn. 11, juris; HWK/ Ziemann, 9. Aufl. 2020, § 62 ArbGG, Rn. 37; ErfK/Koch, 21. Auflage 2021, § 62 ArbGG, Rn. 8; Ahmad/ Horcher, NZA 2018, 1234, 1241).
b) Die im vorliegenden Fall titulierte Verpflichtung erstreckt sich schon ihrem Wesen nach nicht auf die bloße Herausgabe eines Arbeitspapiers. Denn die Lohnsteuerbescheinigung ist kein auszufüllendes Papier und damit keine bewegliche Sache iSd. § 883 Abs. 1 ZPO. Bei der Lohnsteuerbescheinigung handelt es sich gemäß § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG um eine elektronische Zusammenfassung der nach dem Lohnkonto des Arbeitnehmers für den Lohnsteuerabzug relevanten Merkmale. Mit dem Ausstellen einer Lohnsteuerbescheinigung durch den Arbeitgeber wird der Lohnsteuerabzug abgeschlossen. Die Lohnsteuerbescheinigung bietet dann Beweis über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat (BFH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – VI R 10/05 –, BFHE 223, 202, BStBl II 2009, 354, Rn. 10; Eisgruber in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl. 2021, § 41b EStG, Rn. 1). Die titulierte Verpflichtung der Schuldnerin zur Erteilung eines Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung bzw. zu deren elektronischer Bereitstellung setzt daher zwangsläufig voraus, dass sie die in § 41b Abs. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Angaben nach Abschluss des Lohnkontos auf Grund der darin enthaltenen Aufzeichnungen übermittelt hat oder noch übermitteln wird. Es handelt sich insoweit um einen Gesamtakt, der nur durch die Schuldnerin als Arbeitgeberin selbst und nicht durch den Gerichtsvollzieher gemäß § 883 Abs. 1 ZPO durch Wegnahme einer beweglichen Sache beim Arbeitgeber und die anschließende Herausgabe an den Arbeitnehmer erfolgen kann. Letzteres wäre bei der Bereitstellung einer elektronischen Lohnsteuerbescheinigung ohnehin nicht möglich.
c) Die Erteilung eines Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung sowie deren elektronische Bereitstellung können auch nicht durch einen Dritten erfolgen und stellen damit keine vertretbaren Handlungen dar, die nach § 887 ZPO zu vollstrecken wären. Eine Ersatzvornahme durch den Gläubiger setzt nämlich nicht nur voraus, dass es vom Standpunkt des Gläubigers aus wirtschaftlich gleichgültig ist, durch wen die Handlung vorgenommen wird. Sondern es muss auch vom Standpunkt des Schuldners aus rechtlich zulässig sein, dass ein anderer die geschuldete Handlung bewirkt (BGH, Urteil vom 11. November 1994 – V ZR 276/93 –, Rn. 7, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16. Juli 1991 – 3 W 75/91 –, Rn. 10, juris; Zöller/Seibel, 33. Aufl. 2020, § 887 ZPO, Rn. 2). Das ist hier nicht der Fall. Die Möglichkeit, dass ein Dritter, der Einblick in die Unterlagen der Schuldnerin hat, möglicherweise in der Lage wäre, eine Zusammenfassung der nach dem Lohnkonto des Gläubigers für den Lohnsteuerabzug relevanten Merkmale zu erstellen, ändert zum einen nichts daran, dass der Dritte die Handlung nicht selbständig ohne Mitwirkung der Schuldnerin vornehmen kann (zu diesem Erfordernis BAG, Beschluss vom 07. September 2009 – 3 AZB 19/09 –, Rn. 18, juris), da sie ihm Einblick in das Lohnkonto gewähren müsste.
Zum anderen würde dem Dritten durch die Ermächtigung nach § 887 Abs. 1 ZPO weder eine Vertretungsbefugnis übertragen (Zöller/Seibel, 33. Aufl. 2020, § 887 ZPO, Rn. 2), noch könnte er als Verfügungsberechtigter iSd. §§ 34, 35 AO auftreten. Denn bei der Erstellung und Übermittlung einer Lohnsteuerbescheinigung handelt es sich um eine genuin einkommensteuerrechtliche Verpflichtung der Schuldnerin als Arbeitgeberin, die dementsprechend für fehlerhafte Angaben gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 3 EStG haftet, wenn die Einkommensteuer vom Finanzamt im Rahmen der Veranlagung auf Grund unrichtiger Angaben im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung zu niedrig festgesetzt wird (BFH, Urteil vom 22. Juli 1993 – VI R 116/90 –, Rn. 19, juris; Schmidt/Krüger, 40. Aufl. 2021 Rn. 5, EStG § 42d Rn. 5). Zudem stünde bei einer vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtigen oder unvollständigen Übermittlung der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung eine Haftung nach §§ 72a Abs. 4, 93c AO im Raum (vgl. Eisgruber in: Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl. 2021, § 41b EStG, Rn. 1). Insoweit gleicht der vorliegende Fall den Fallgestaltungen, in denen die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht die Voraussetzung der Zulässigkeit der Vornahme der Handlung durch Dritte ist. Fehlt es daran, geht es nicht um eine vertretbare, sondern eine unvertretbare Handlung im Sinne des § 888 ZPO (OLG Bamberg, Beschluss vom 02. Februar 1983 – 2 WF 14/83 –, MDR 1983, 499; Zöller/Seibel, 33. Aufl. 2020, § 887 ZPO, Rn. 2).
d) Die Schuldnerin hat ihre Verpflichtung zur Erteilung bzw. elektronischen Übermittlung des Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2019 aus Nr. 2 des Vergleichs nicht erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch irgendwie ersichtlich, dass die Schuldnerin dem Gläubiger inzwischen den Ausdruck erteilt hat oder dass eine elektronische Übermittlung stattgefunden hat.“
Bei arbeitsgerichtlicher Zwangsvollstreckung besteht sogar ein Kostenerstattungsanspruch des Gläubigers
Am Ende des Tages musste dann der Arbeitgeber, der hier gepokert hatte, weil er meinte, die im Vergleich eingegangene Verpflichtung würde ihn nicht binden, weil sie zu unbestimmt sei, auch noch die Verfahrenskosten tragen. Die arbeitsrechtliche Besonderheit, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, gilt nämlich nur für das Urteilsverfahren, nicht aber für das Zwangsvollstreckungsverfahren. Deshalb hat er die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger, also jeder Arbeitnehmer, dann einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Schuldner, also hier den Arbeitgeber.